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Social Commerce: Bedrohung oder Chance für deutsche Medienunternehmen?

19. Juni 2024

Der deutsche Social-Commerce-Markt bietet eine entscheidende Chance für Medienhäuser, wettbewerbsfähige Angebote zu entwickeln und Marktsegmente zu sichern. Trotz der frühen Phase wächst der Markt rasant, und nur wenige Anbieter werden sich durchsetzen. Die Einführung von TikToks One-Click-Button in Deutschland wird das Wachstum weiter beschleunigen. Medienhäuser müssen jetzt handeln, um ihre Position zu stärken. 

Warum sollen sich deutsche Medienunternehmen jetzt mit Social Commerce beschäftigen? 

1. Die nächsten 18 bis 24 Monate entscheiden darüber, ob sich deutsche Medienunternehmen erfolgreich im Social-Commerce-Bereich positionieren werden:  

  • Das Segment ist in Deutschland noch vergleichsweise klein – wächst aber stark, 

  • in den verschiedenen Segmenten werden sich jeweils nur wenige Anbieter durchsetzen, 

  • mehrere große Hersteller/Dienstleister und Handelsunternehmen entwickeln jetzt ihre Social-Commerce-Strategien 

  • wenn TikTok in diesem Jahr als erste Plattform ihren One-Click Shopping-Button in Deutschland einführt, wird sich das Wachstum des deutschen Social-Commerce-Marktes weiter beschleunigen. 

2. Social Commerce ist das zentrale Wachstumssegment: 

  • Mit 12% der Mediennutzung hat sich Social Media zu einem signifikanten Segment im deutschen Medienmarkt entwickelt. 

  • Getrieben durch jüngere Nutzer*innen verzeichnen Plattformen wie TikTok zweistellige Wachstumsraten.  

  • Mit einem weltweiten Volumen von 821 Mrd. USD und einer jährlichen Wachstumsrate von über 40% etabliert sich Social Commerce zunehmend als dominierende Handelsplattform. 

  • Mit der Einführung von One-Click-Transaktionen wird der Kaufprozess erheblich verkürzt und vereinfacht sowie das Wachstum weiter befeuert. 

3. Social Commerce bietet deutschen Medienunternehmen die Möglichkeit, Rückgänge in „klassischen“ Segmenten zu kompensieren: 

  • Mediennutzung und Umsätze in „klassischen“ Segmenten sind deutlich rückläufig. 

  • Deutsche Medienhäuser stehen vor der Frage, ob und wie sie sich im Social-Commerce-Bereich positionieren können, um neue Potenziale zu erschließen. 

  • Die Optionen reichen von der a) Content-Monetarisierung über Social-Commerce-Plattformen über die b)Einrichtung eigener Social-Commerce-Plattformen und den c) Aufbau einer eigenen Influencer Academy bis hin zur d)Entwicklung eines umfassenden Omnichannel-Ansatzes. 

Signifikante Transformation der Medienindustrie 

Getrieben von der Liberalisierung der Medien- und Telekommunikationsmärkte und der Digitalisierung von Inhalten und Verbreitungswegen hat sich der deutsche Medienmarkt seit den 80er Jahren fundamental gewandelt. 

Abbildung 1: Durchschnittlicher täglicher Medienkonsum in Deutschland in Minuten seit 1980 

Der Medienkonsum in Deutschland hat sich in dieser Zeit in Schüben auf nahezu neuneinhalb Stunden pro Tag fast verdoppelt. Seit dem Jahr 2020 ist er jedoch leicht rückläufig und der ohnehin intensive Wettbewerb zwischen „klassischen“ und internetbasierten Inhalten wird noch schärfer. Betrug der Anteil internetbasierter Inhalte im Jahr 2015 noch 21%, so hat er sich im Jahr 2023 auf 34% erhöht – und das Wachstum setzt sich fort. 

Vom Like zum Kauf: Social Commerce als Wachstumstreiber 

Bei den internetbasierten Inhalten sind Social-Media-Plattformen wie Instagram, Facebook, TikTok, Snapchat, Pinterest, Twitter, und Twitch in den letzten Jahren der wesentliche Treiber. Sie verzeichnen (mit Ausnahme von Facebook) zweistellige Wachstumsraten, TikTok ist in den letzten Jahren sogar um über 50% p.a. gewachsen. Dieses Wachstum wird insbesondere von jüngeren Nutzer*innen getrieben, die doppelt so oft Social Media nutzen wie ältere Nutzer*innen (68% der 14- bis 29-jährigen nutzen wöchentlich mindestens eine Social-Media-Plattform vs. 34% der über 30-jährigen). 

Abbildung 2: Wöchentliche Nutzung von Social-Media-Plattformen in Deutschland in Prozent 

Mit der steigenden Nutzung geht eine Kommerzialisierung der Social-Media-Plattformen einher, die zunehmend sowohl für die Platzierung von Werbung als auch die Abwicklung von Commerce-Transaktionen genutzt werden. Zwei Zahlen verdeutlichen dabei das Potenzial von Social Commerce: 

  • Im Jahr 2025 werden weltweit über 821 Milliarden USD über Social-Commerce-Plattformen vertrieben – bei einem Wachstum von über 40% p.a..
  • In China hat Li Jiaqi, ein unter dem Namen “Lipstick Brother” bekannter Influencer, bereits vor zweieinhalb Jahren über Alibaba an einem einzigen Tag Waren im Wert von US$ 1,9 Mrd. an 488 Mio. aktive Zuschauer verkauft.6 

One-Click-Transaktionen als Game Changer 

Die Attraktivität von Social-Media-Plattformen für Anbieter von Waren und Dienstleistungen  wird zukünftig weiter steigen, da Plattformanbieter den Prozess vom Content bis zur Zahlung sukzessive verkürzen und den Kauf vereinfachen. 

Abbildung 3: Verkürzung der Commerce-Transaktion durch Social-Media-Plattformen 

TikTok hat den One-Click Shopping Button als Teil seiner TikTok Shop-Funktion im September 2023 in den USA eingeführt. Diese Funktionalität wurde zuerst in den USA, Großbritannien und Kanada getestet und wird nun in weiteren Ländern ausgerollt. Der One-Click-Button ermöglicht es Nutzer*innen, Produkte direkt aus Videos oder Livestreams zu kaufen, ohne die TikTok-App verlassen zu müssen. 

Die Einführung des One-Click-Buttons hat signifikante Auswirkungen auf die Conversion-Raten und den Umsatz gezeigt. Studien belegen, dass der One-Click-Checkout-Prozess die Kaufhäufigkeit um 43% und die Anzahl der gekauften Artikel um 36% steigern kann. Dies liegt daran, dass der vereinfachte Prozess die Wahrscheinlichkeit von Kaufabbrüchen verringert und den Kund*innen eine nahtlose Einkaufserfahrung bietet.7 Ein konkretes Beispiel ist das Wachstum der Marke "MySmile", die nach der Einführung des TikTok Shops in nur drei Monaten einen Bruttowarenwert von über 1 Million USD erzielte.

Die Einführung des One-Click-Buttons in Deutschland wird voraussichtlich einen ähnlichen Schub für den lokalen Markt bedeuten und das Wachstum des Social Commerce erheblich beschleunigen. 

Social Commerce als strategische Herausforderung von Medienhäusern 

Medienhäusern stellt sich vor dem Hintergrund rückläufiger „klassischer“ Umsätze die Frage, ob und wie sie sich im Social-Commerce-Bereich positionieren sollen.  

Der US-amerikanische Sender NBC hat diese Frage unter anderem mit zwei Kooperationen beantwortet: 

  • Das Unternehmen ist bereits im November 2021 eine Partnerschaft mit TikTok Star Remi Bader (Impulse Try) eingegangen und hat eine interaktive Livestream-Shopping-Show-Serie während des Thanksgiving-Wochenendes produziert.
  • Ende letzten Jahres ging es eine Partnerschaft mit Walmart ein, um auf Basis seines „klassischen“ Contents eine E-Commerce-Plattform aufzubauen: Über ein QR-Interface können Zuschauer*innen in der neuen Staffel der Serie „Below Deck Mediterranean“ direkt Produkte aus der Serie erwerben.10 

Vier Positionierungsoptionen für deutsche Medienhäuser 

Der deutsche Social-Media-Markt befindet sich in einer vergleichsweisen frühen Phase der Kommerzialisierung. Zwar werden bereits nennenswerte Werbebudgets verwaltet und in Kooperation mit Influencern erste Social-Commerce-Umsätze realisiert, jedoch sind die Potenziale noch nicht ansatzweise ausgeschöpft. 

Für deutsche Medienhäuser stellt sich die Frage, ob und wie sie sich in diesem Markt engagieren sollen. Aus unserer Sicht bieten sich ihnen die folgenden vier Positionierungsoptionen: 

  1. Integration und Monetarisierung von Content über Social-Commerce-Plattformen 
    Medienhäuser könnten ihre Inhalte in shoppable Inhalte umwandeln und diese direkt auf Social-Commerce-Plattformen monetarisieren. Dies umfasst Livestream-Shopping und Shoppable Videos. 
  2. Aufbau einer eigenen Social-Commerce-Plattform 
    Entwicklung einer eigenen Plattform, die Content und Commerce integriert, möglicherweise in Partnerschaft mit E-Commerce-Plattformen und unter Einsatz innovativer Technologien wie AR. 
  3. Influencer Academy 
    Medienhäuser bauen ihre eigene Influencer-Community auf. Die eigenen Influencer werden in Social-Media-Strategien, Content-Erstellung und persönlichem Branding geschult, um authentische und ansprechende Inhalte zu erstellen, die direkt mit Commerce-Angeboten verknüpft sind. Durch teamorientiertes Arbeiten und neue Karrieremöglichkeiten wird die Bindung gestärkt und eine klare Positionierung im Social Commerce erreicht. 
  4. Entwicklung eines umfassenden Omnichannel-Ansatzes
    Integration von Social Commerce in eine breitere Omnichannel-Strategie, um eine nahtlose Kundenerfahrung zu bieten und durch die Nutzung von Kundendaten personalisierte Angebote zu erstellen. 

Leitfragen für die Strategieentwicklung 

Bei der Wahl der passenden Strategie müssen Medienhäuser eine Reihe von Leitfragen berücksichtigen: 

1. Welche Stärken kann ich in ein eigenes Social-Commerce-Angebot einbringen (Generierung von Content, Distributionskanäle, Fulfillment, Billing, etc.) („Right to Play“)? 

2. Wie möchte ich mich im Social-Commerce-Bereich positionieren (Regionen, Segmente, Geschäfts- und Erlösmodelle)? 

3. Wie sieht meine Wertschöpfungskette aus? 

4. Welche Kompetenzen fehlen mir und wie kann ich diese aufbauen (interner Aufbau vs. Zukäufe vs. Partnerschaften)? 

5. In welchem Umfang bringe ich eigenen Content ein (klassisch oder KI-generiert) und in welchem Umfang baue ich auf Drittinhalte? 

6. Wie sieht mein Operating Model aus? 

7. Welche Kompetenzen habe ich im Team?

8. Auf welche Technologie setze ich?

9. Wie finanziere ich mein Geschäftsfeld?

10. Wie gestalte ich meinen Umsetzungsplan?

Summary 

Aus unserer Sicht sind deutsche Medienhäuser grundsätzlich gut positioniert, um sich im Social-Commerce-Markt erfolgreich zu behaupten. Allerdings müssen sie in den nächsten 18 bis 24 Monaten eigene wettbewerbsfähige Angebote aufbauen, um ihre Marktsegmente zu besetzen, denn 

  • der Markt befindet sich noch in einer frühen Entwicklungsphase, wächst aber bereits stark, 
  • in den jeweiligen Social-Commerce-Segmenten werden sich jeweils nur wenige Anbieter durchsetzen, 
  • mehrere große Hersteller/Dienstleister und Handelsunternehmen entwickeln jetzt ihre Social-Commerce-Strategien und 
  • wenn TikTok bereits in diesem Jahr als erste Plattform ihren One-Click-Button in Deutschland einführt, wird sich das Wachstum des deutschen Social-Commerce-Marktes weiter beschleunigen.11 

 

Autoren:

Christian Imhof, Managing Director (Email)
Armin Raffalski, Partner (Email)

 

Quellen:

[1] Van Eimeren, B., & Ridder, C. M. (2011, Januar). Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2010.www.Ard-Zdf-Massenkommunikation.de. Aufgerufen Juni 7, 2024

[2] Engel, B., & Breuning, C. (2015, August 7). Massenkommunikation 2015: Mediennutzung im Intermediavergleich., www.Ard-Zdf-Massenkommunikation.de. Aufgerufen Juni 7, 2024

[3] Adler, M., Dr., Hagmann, J., & Teichmann, J. (2023, Oktober 1). Media Activity Guide 2023. www.Seven.one. Aufgerufen June 7, 2024

[4] Koch, W., (2023, November 26). Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2023. www.Ard-Zdf-Onlinestudie.de. Aufgerufen June 7, 2024

[5] Statista. (März 12, 2024). Social commerce revenue worldwide from 2018 to 2028 (in billion U.S. dollars) [Graph]. In Statista. Aufgerufen June 07, 2024

[6] Hua, S. (2019, Dezember 12). Alibaba feiert seinen Kultverkäufer „Lippenstift-Li“. Handelsblatt.

[7] Naceva, N. (2024, Mai 24). Everything You Need to Know About TikTok Shopping. Influencer Marketing Hub.

[8] Aviso, A. (2024, Februar 01). What Is TikTok Shop? Everything You Need to Know in 2024. Fit Small Business. 

[9] NBCUniversal (2021, November 9). NBCUniversal Expands Commerce Capabilities With New, Social-first Livestream Shopping Show And Immersive, Virtual Retail Experience To Kick Off Holiday Shopping Season. Together.Nbcuni.com. Aufgerufen June 7, 2024

[10] OMR (2021, Juni 8). https://omr.Com/de/daily/walmart-ecommerce-comeback. Aufgerufen June 7, 2024

[11] Frank, A. (2024, Mai 27). Der TikTok Shop in Deutschland: Das nächste große Ding im eCommerce? www.Selr.de. Aufgerufen Juni 7, 2024