Wasserstoff-Wirtschaft: CO2-NEUTRAL?

Wie können Staat und Unternehmen gemeinsam einen realistischen  − und wirtschaftlich erfolgreichen − Weg zu einer CO2-neutralen Wasserstoff-Wirtschaft finden?  goetzpartners und der Think Tank "Future Cleantech Architects" haben im engen Dialog  Antworten auf diese Frage gesucht und  sich auf fünf Thesen verständigt. Klar ist für beide: Es gibt weder den gesellschaftlichen noch den technisch-wirtschaftlichen „Königsweg“. Ausgangspunkt muss Transparenz, Offenheit und Realismus für unterschiedliche Annahmen und Modelle sein.

1. Der Weg zu wettbewerbsfähigem grünem Wasserstoff ist länger und aufwändiger als medial oft suggeriert wird.

Während Publikationen und Förderprogramme immer wieder eine wettbewerbsfähige Erzeugung von sogenanntem ‘grünen’ (also aus erneuerbaren Energien mittels Elektrolyse gewonnenem) Wasserstoff voraussetzen, sieht die Realität derzeit noch anders aus. Mehr als 95% des weltweit verwendeten Wasserstoffs ist der Kategorie ‘grau’ zuzurechnen und wird mittels Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen. Entsprechend hoch ist der Klimaeffekt. Die klimafreundliche grüne Variante der Wasserstoffproduktion liegt in der Wettbewerbsfähigkeit noch weit abgeschlagen: Im Schnitt kostet grüner Wasserstoff pro Einheit mehr als das Dreifache von fossil erzeugtem, grauem Wasserstoff.

Obwohl vielversprechende Potenziale entlang der Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff zu erkennen sind, kann gegenwärtig insbesondere in der Produktion und in der Distribution noch keine Wirtschaftlichkeit oder ausreichende Marktreife erreicht werden. Hierbei bedarf es einer steilen Lernkurve verschiedener Komponenten der Elektrolyse-Systeme sowie kontinuierlich fallender Elektrizitätskosten, um Wettbewerbsfähigkeit zu bestehenden, grauen Wasserstoffanwendungen zu erreichen.
 

2. Ökonomische Schlachten, die H2 nicht gewinnen kann, müssen früh genug als verloren anerkannt werden.

Es gibt eine Reihe von Anwendungsfeldern in der Mobilität, bei Industrieprozessen, aber auch im Gebäudebereich, in denen H2 absehbar ohne ökonomische Chancen sein wird. Andere nachhaltige Verfahren, vor allem eine direkte Elektrifizierung, sind oft uneinholbar im Vorteil. Zur gleichen Zeit gibt es eine Vielzahl von Initiativen und staatlichen Förderprojekten, die immer noch auf Gebieten der PKW-Mobilität, bei dezentraler Wärmeerzeugung oder bei Mittelstrecken-Transport Wasserstoff-Lösungen fordern bzw. entwickeln lassen. Auf solchen − wirtschaftlich faktisch chancenlosen − Feldern sollten weniger Ressourcen in öffentlich geförderte F&E gesteckt werden.

Der Staat sollte kein Wunschbild vorgeben, sondern über ökonomische Anreize die Fördermittel effizienter und zielgerichteter einsetzen. Ein guter Indikator für das Gelingen eines potenziellen Projekts ist hierbei, ob signifikante private Mittel zur Co-Finanzierung öffentlicher Anschubförderung für eine Technologie eingeworben werden können.
 

3. Die Klimabilanz von H2 muss realistischer betrachtet und transparenter dargestellt werden.

Die mediale Darstellung von H2 – in allen farblichen Schattierungen – lässt Wasserstoff-Technologien zu oft in einem eindeutig klimaneutralen Bild erscheinen. Dies ist nicht der Fall. Gerade die Produktion von H2 über konventionelle Verfahren aus Erdgas bringt eine hohe Klimabelastung entlang der Wertschöpfungskette mit sich. Dies betrifft nicht erst die Herstellung über die Dampfreformierung sondern bereits den Transport des Erdgases mit seiner schwer zu überwachenden Leckage-Rate des sehr treibhausgas-intensiven Methans.

Es wird daher einerseits wichtig sein, die über das graue Verfahren entstehenden Methan- und Kohlendioxid-Emissionen mit sofortiger Wirkung zu reduzieren, zum anderen einen genaueren, über die gesamte Wertschöpfungskette basierten ‚Fußabdruck‘ der Treibhausgasemissionen von Wasserstoff zu erzielen. Die Bemühungen, auf europäischer Ebene hierzu Einigkeit und Standards zu erzielen, sind extrem wichtig. Wegen ihrer wirtschaftlichen Folgen für ganze Branchen sind sie aber auch entsprechend von Lobby-Aktivitäten geprägt. 
 

4. Deutschland wird auch langfristig kaum in der Lage sein, seinen eigenen Bedarf an grünem Wasserstoff aus heimisch erzeugten erneuerbaren Energien zu decken.

Nach Abschaltung der deutschen Kernkraft und Kohle steht Deutschland vor einer großen Herausforderung, um ausreichend nachhaltige Elektrizität bereitzustellen. Die verschärften Klimaschutzziele und die zu begrüßende Planung, sinnvolle Prozesse zukünftig mit grünem Wasserstoff zu versorgen, werden Deutschland stärker von Importen aus den sonnenreichen Ländern Südeuropas und der MENA-Region abhängig machen. Zur gleichen Zeit steht eine Produktion des Wasserstoffs in diesen Regionen vor großen Herausforderungen in der Transport-Logistik. Nach derzeitigem Entwicklungsstand wird ein Langstreckentransport von Wasserstoff für einen Großteil der geplanten Anwendungen zu teuer werden.

Eine Umstellung des bereits in vielen Bereichen − von der Düngemittelproduktion bis zur Veredelung von Spezialchemikalien − eingesetzten grauen Wasserstoffs, muss prioritär verfolgt werden, so hoch ist der Klimaeffekt dieser Verfahren. Da aber aus Sicht der Kosten und auch der Elektrolysekapazität diese Verfahren nicht einfach auf grünen Wasserstoff umgestellt werden können, müssen schnell pragmatische Lösungen zur Dekarbonisierung grauen Wasserstoffs gefunden werden. In einer Übergangszeit wird auf die Produktion von H2 aus Erdgas nicht verzichtet werden können.

5. Marktteilnehmer, die aufgrund ihrer fehlenden Größe, Risikobereitschaft oder Technologiekompetenz im internationalen H2 Markt nicht bestehen können, sollten das Feld meiden.

Die Fördergelder aus Deutschland und der EU suggerieren Unternehmen aller Größenordnungen zukunftsfähige Investments in ein sicheres Wachstumsfeld. Dieses ist im internationalen Wettbewerb betrachtet nicht der Fall. Mittelfristig werden diejenigen Unternehmen und Technologien erfolgreich sein, die − getrieben durch den internationalen Wettbewerb staatlicher Förderungen − die größte und zielgerichtetste Anschubfinanzierung erhalten und sich auf dem globalen Markt auch mithilfe des meisten Risikokapitals in einem sinnvollen (wirtschaftlichen) Einsatzgebiet für Wasserstoff durchsetzen. Der Blickwinkel muss hierzulande folglich vielmehr auf die Schaffung eines globalen Wasserstoffmarktes gerichtet werden.

Um somit im internationalen Vergleich bestehen und ein wettbewerbsfähiges Portfolio anbieten zu können, bedarf es einer kritischen Größe, einer strategischen Vorgehensweise und eines langen Atems. Marktteilnehmer, die diese Eigenschaften nicht mitbringen, gehen bei eigenen Projekten mit Plattform- oder Infrastruktur-Charakter sehr hohe, unter Umständen existentielle Risiken ein. Sie sollten daher frühzeitig Anteilseigner in die Abwägung eines Geschäftsfeldaufbaus einbeziehen.
 

KONTAKT

Dr. Klaus Grellmann, Managing Director,Co-Head Energy, goetzpartners

Dr. Peter Schniering, Geschäftsführer, Future Cleantech Architects